Ich kann mich beim Lesen des heutigen Evangeliums an ganz heftigen Diskussionen erinnern: Jene Arbeiter, die nur eine Stunde gearbeitet haben, bekommen genau so viel ausbezahlt, wie die, die einen ganzen Tag geschuftet haben. Das ist doch ungerecht, was dieser Gutsbesitzer da macht! Unsere ganze wirtschaftlich orientierte Gesellschaft handelt nach dem Prinzip: „Lohn nach Leistung. Wer etwas leistet bekommt dafür etwas. Wer nichts leistet bekommt nichts. Das ist gerecht, das ist richtig.“ Tatsächlich ist unsere ganze Wirtschaft nur so denkbar. Nur so kann sie funktionieren. Dürfen wir im Leben aber nur wirtschaftlich denken? Gibt es da nicht viele Situationen, wo wir dann unmenschlich und deswegen ungerecht sind? Hängt echtes Menschsein nur von unseren Leistungen ab? Wer nichts leistet, ist nichts wert?
Jesus gibt hier ein künstlich konstruiertes, provozierendes und irritierendes Beispiel. Einiges kommt im wirklichen Leben so nicht vor. Welcher Arbeitgeber geht drei- oder viermal am Tag auf den Arbeitsmarkt, um Arbeiter anzuheuern? Wer geht sogar noch in der letzten Stunde auf die Suche nach Arbeitern? Und warum geht er bei der Auszahlung so vor: Die nur eine Stunde gearbeitet haben sollen zuerst ihren Lohn empfangen und dann auch noch gleich viel wie die anderen? Will er bewusst provozieren? Und mit welchen Argumenten zahlt er allen gleich viel? „Darf ich mit dem, was mir gehört, nicht tun, was ich will? Oder ist seid ihr böse, weil ich gut bin?“, fragt er. Die ganze Geschichte ist unlogisch und mit Absicht so künstlich konstruiert, weil Jesus damit etwas ganz Bestimmtes sagen will.
Der Schlüssel zum Verständnis dieses Beispiels ist schon in er heutigen ersten Lesung formuliert, wo Gott durch den Propheten sagt: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken. Meine Wege sind nicht eure Wege.“ Gott denkt und handelt anders. Er überbietet unsere menschlichen Maßstäbe. Seine Güte und Barmherzigkeit sind unendlich viel größer als unsere, beschränkt menschlichen.
Jesus will zum Nachdenken herausfordern. Wir dürfen nicht vergessen: Dieses Gleichnis hat er an die Pharisäer gerichtet, die glaubten, für ihre religiösen Leistungen einen Anspruch auf Gottes Lohn zu haben. Oft leben Christen in der Überzeugung, dass sie umso mehr Anspruch auf Gottes Lohn haben, je mehr fromme und religiöse Leistungen sie vollbringen. „Den Himmel kann man sich nicht verdienen. Er ist ein Geschenk!“
Müssen wir da nicht erleichtert aufatmen? Müssen wir da nicht unendlich dankbar sein? Stellen wir uns vor, Gott beurteilt uns nur nach unseren Leistungen! Mit welchen Leistungen wollen wir vor Gott treten, ihm zeigen, dass wir gut sind und dafür von ihm einen Lohn erwarten? Wären wir da nicht wirklich arm? Kämen wir uns da nicht hoffnungslos verloren vor? Wir alle haben ungleiche Leistungs-möglichkeiten, ungleiche Begabungen und Talente. Der eine Mensch hat viele und große, der andere viel weniger und kleinere. Sind wir deswegen minderwertig? Allein schon die Tatsache, dass wir in sehr unterschiedlichen Familien, in reicheren oder ärmeren Ländern geboren werden, bestimmt schon, welche Lebensmöglichkeiten wir haben und was wir „leisten“ können. Und die sind sehr ungleich. Hängt unser menschlicher Wert von unseren Leistungen ab? Zum Glück denkt Gott anders. Er will für jeden Menschen sein ganzes Wohl, sein Heil. Er liebt jeden Menschen. Zu jedem ist er gütig und barmherzig.
Ist das nicht eine frohe Botschaft, die Jesus uns da über Gott vermittelt? Gerechtigkeit ohne Liebe und Barmherzigkeit wird unmenschlich und hart. Sie passt nicht in die Welt Gottes, ins Reich Gottes. „So werden die Letzten Erste sein und die Ersten Letzte“, schließt Jesus. Wer in dieser Welt wichtig ist, wem es gut geht, weil er sich nur an die harten Gesetze dieser Welt hält, weil er meint das verdient zu haben, gilt im Reich Gottes zu den Letzten. „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und eure Wege sind nicht meine Wege“. Wenn wir als Christen zu Gottes neuer Welt gehören wollen, müssen wir oft umdenken, versuchen zu denken wie Gott und deswegen andere Wege gehen als die, die man in dieser Gesellschaft oft geht.